Das
geschenkte Material war also mengenmäßig enorm. Überdies war es
desto bedeutender, weil es nicht nur aus Reinschriften der Werke,
die schon seit früher bekannt waren, sondern auch aus Entwürfen
in den verschiedensten Stufen bestand: von den ganz ersten
thematischen Niederschriften bis zu weiter entwickelten Entwürfen,
von Entwürfen zur Orchestrierung und zu vielerleien Konzepten.
Dazu kamen noch Manuskripte, die für Sibelius zuerst als
Reinschriften gegolten hatten, aber deren Weiterkomponieren er
nachher jedoch zu eigentlichen Werken fortgesetzt hatte. Weiter
gab es Material, das mit der Veröffentlichung der Werke verknüpft
war, wie an die Notengraveure gesandten Exemplare und von Sibelius
selbst korrigierten Korrekturen. Zur Donation gehörte auch der größte
Teil seiner Jugendwerke, die früher ziemlich unbekannt geblieben
waren, zahlreiche Harmonisierungs-, Kontrapunkt- und Übungsarbeiten
wie auch einige früher unbekannte Kompositionen von einem
reiferen Sibelius. Als Zugabe gab es Niederschriften zur
Volksmusik.
Mit
der Donation öffnete sich ein völlig neues Gebiet für die
Sibelius-Forschung, denn zum ersten Mal gab es jetzt eine Möglichkeit,
in die Arbeit des Komponisten hineinzublicken, d.h. wie die Werke
richtig entstanden waren und wie sich der Prozess bis zu deren Veröffentlichung
abgelaufen war. Außerdem wurde es möglich, mit Hilfe des Papiers,
der Tinte und der Handschrift, den Zeitpunkt der Entstehung von
vielen in der Literatur früher falsch datierten Werken zu
korrigieren sowie die Jugendwerke zeitlich verhältnismäßig
genau festzulegen. Unter den Manuskripten gibt es auch sehr viel
sonstiges Material wie Briefkonzepte, tagebuchartige Vermerke,
Notizen verschiedener Art usw., was alles für die Forscher von
Interesse ist.
Das
Allerwichtigste ist jedoch, dass es jetzt möglich ist, indem man
Musikmanusskripte aus Sammlungen anderer Quellen benutzt,
einerseits Sibelius’ bis auf weiteres unveröffentlichte Werke
herauszugeben und anderseits die Fehler zu finden und korrigieren,
die sich in den Noten seiner schon veröffentlichten Werke
eingeschlichen haben. Und es gibt überraschend viele Fehler, denn
die Notengraveure mussten in ihre Metallplatten oft Manuskripte
kopieren, die ziemlich schwer zu interpretieren waren; außerdem
veränderten sie selbst Noten mehr oder weniger auf eigene Faust.
Die gesammelten Werke von Jean Sibelius (Jean Sibelius Works /
Jean Sibelius’ Werke, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, als
Verleger) ist ein Projekt, das sich mit der Korrigierung und Veröffentlichung
beschäftigt. Die Absicht ist es, Sibelius’ sämtliche Werke in
einer kritisch korrigierten Edition auf Grund der aufbewahrten
Manuskripte herauszugeben.
Außer
den obenerwähnten Stellen gibt es Sibelius’ Musikmanuskripte
bei seinen Verlegern Breitkopf & Härtel und Robert Lienau.
Lienaus Sammlung ist nicht besonders groß, weil Lienau eine
ziemlich geringe Rolle als Verleger für Sibelius’ Werke spielte.
Breitkopf wiederum verlegte den Hauptteil von Sibelius’ Werken,
aber aus irgendeinem Grunde ist der größte Teil der von Sibelius
an Breitkopf gesandten Manuskripte (u.a. die Partituren zu den
Symphonien Nr. 1, 2 und 4, Die Okeaniden (bzw. Rondo der
Wellen), Tapiola und viele andere) verschwunden, und
niemand weiß, wo sie sind. Auch der dänische Verlag Edition
Wilhelm Hansen hatte viele Manuskripte, aber es war gelungen,
diese außer einem in die Sammlung der Universtitätsbibliothek
Helsinki zu kaufen. Der bedeutendste finnische Sibelius-Verleger
Verlag Fazer (heute Fennica Gehrman Oy) seinerseits deponierte die
Exemplare in seinem Besitz schon seit vielen Jahren in der
Universitätsbibliothek Helsinki.
Andere
Stellen, wo Musikmanuskripte von Sibelius hingewandert sind, sind
verschiedene Bibliotheken und Archive sowohl in Finnland als im
Ausland sowie Sammlungen von Privatpersonen. Die Anzahl dort
verwahrter Werke ist jedoch recht gering.
Ab und zu werden einzelne Manuskripte in internationalen
Auktionen zum Verkauf angeboten, aber die Preise sind
normalerweise so hoch, dass es schwierig für offentliche
Bibliothekten oder Archive ist, sie in ihre Sammlungen
anzuschaffen. Dies ist ein Schaden, wenigstens was die Forschung
betrifft, weil die Forscher keinen Zugang zu den Exemplaren in den
Privatsammlungen haben.
Obwohl
eine bedeutende Menge von Sibelius’ Musikmanuskripten aufbewahrt
ist, ist vieles jedoch auch verlorengegangen. Es ist bekannt, dass
Sibelius selbst seine Manuskripte zu verschiedenen Zeiten
verbrannte, und diese Stücke sind endgültig weg. Aber er auch
teilte seine Manuskripte auch an andere Leute aus, wenigstens in
seiner Jugend, und solche Exemplare können irgendwo versteckt
sein und sind noch nicht aufgetaucht. Außer den bei Breitkopf
gebliebenen Manuskripten sind auch an viele zufällige Verleger (zum
Beispiel Carl Fisher in New York) gesandte Manuskripte
verschwunden. Man kann wohl darauf hoffen, dass auch diese
irgendwann gefunden werden. Dieses wäre wichtig, weil die
verschwundenen Manuskripte für die Herausgeber der sämtlichen
Werke große Schwierigkeiten machen. Die Entdeckung der
vermissten Manuskripte ist auch von allgemeinerem Belang, denn
jedes aufgetauchte neue Dokument, das mit Sibelius zu tun hat,
gibt uns neue Kenntnis von einem der bedeutendsten Komponisten
aller Zeiten.