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Kammermusik Kammermusik für Violoncello

Sibelius spielte – soweit bekannt – nie Violoncello, obwohl er es eigentlich tun wollte und ihm auch in der Schulzeit (1881) eine Stelle als Cellist in einem von Freunden gegründeten Orchester angeboten wurde. Aus dem Projekt wurde nichts, weil kein Violoncello zur Verfügung stand. Sibelius machte sich aber trotzdem, dank seines Bruders Christian, auch mit diesem Instrument vertraut und komponierte für Violoncello neben den größeren Kammermusikwerken (Trios, Quartetten) auch Soli mit und ohne Klavierbegleitung. Zum Beispiel hatte Sibelius im Sommer 1887, nach einem an Onkel Pehr adressierten Brief, für Kitti (Christian) einen Walzer komponiert, der in das Repertoire der Konzerttournee des Cellisten Jaromír Hrímaly unter dem Namen Walse fantastique "opus I" hätte mitgenommen werden sollen. Es ist unbekannt, um welches Werk es sich handelte und ob Hrímaly es je spielte.

In den Schul- und Studienjahren vollendete Sibelius ungefähr 10 Werke für Violoncello mit Violine oder Klavier oder ganz ohne Begleitung: ein Teil von diesen ist allerdings teilweise (die Noten für Klavier) oder ganz verschollen. Die früheste Cello-Klavier-Komposition mag das Werk Andantino aus dem Jahr 1884 (?) sein, in dem Züge von Grieg und Tschaikowski zu hören sind. Die nächsten erhaltenen Kompositionen für Violoncello stammen aus der Mitte und vom Ende der Studienzeit in Helsinki. Andante molto (f-Moll, 1887) ist wegen der Gleichwertigkeit der Klavier- und Celloeinsätze bemerkenswert sowie wegen seiner sehr ansehnlichen Cellokadenz: Kitti war in seinen Studien gut vorangekommen! Aus demselben Jahr (1887) stammt noch Duo (e-Moll) für Violine und Violoncello, Tempo di valse (g-Moll), dessen Klaviereinsatz verschollen ist und das vielleicht das geheimnisvolle Walse fantastique aus demselben Sommer sein könnte.

Thema und Variationen d-moll (1887)

Sibelius’ zweitgrößte Violoncellokomposition ist auch in ihrer nicht ganz vollendeten Form gleichzeitig das erste finnische Violoncellowerk und überhaupt eines der besten einheimischen Violoncellowerke. Wenn Christian dieses Werk, das komplizierte Züge von Bach bis Popper aufweist, ohne Schwierigkeiten spielen konnte, verfügte er über ein beeindruckendes technisches Niveau in seiner Instrumentenbeherrschung.

Die Einleitung mit ihren 2–3-stimmigen Akkorden (Chaconne!) erinnert an Bach. Das Thema ist wehmütig wie ein Volkslied. Dem Thema folgen sechs Variationen:

1. Variation (Aufführungsanweisung spiccato) erzählt von Vertrautheit mit Barock und Bach. Der Charakter dieser Variation liegt im Neobarock.

2. Variation. Sie ist eine Charaktervariation im romantischen Stil mit großen Sprüngen, mit sensuellen Melodienphrasen, mit kettenförmigen Trillern und mit für Sibelius typischen Triolen.

3. Variation (Presto) ist volkstümlich, erinnert sogar an das Kalevala, denn im Hintergrund der Melodie tönt die halbe Zeit der Bordun-Bass.

4. Variation (in D-Dur) ist eine klassizistische Maggiore-Variation, voll von Doppelgriffen, u. a. chromatisch sinkenden Sexten sowie schnellen Tonleiterfiguren, die diese Variation überromantisch wirken lassen.

5. Variation basiert auf umfassenden schnellen gebrochenen Akkorden, teilweise auf chromatischen Tonleitern und auf Flötenstimmen im romantischen Virtuosenstil.

6. Variation ähnelt mit ihren Akkorden und Melodie-Bordunen wieder überraschend stark einer Melodie aus dem Kalevala.

Nach den Variationen ist noch ein kurzer Epilog zu hören, der von hohen Klängen, Pizzicato-Akkorden und Flötenstimmen suggestiv gefärbt wird. Das Manuskript beinhaltet auch noch eine mögliche D-Dur-Variation, die wieder skizzenhaft mit ihren gebrochenen Oktaven erscheint, die teilweise chromatisch sind. Diese war vielleicht als eine schnelle Variation zwischen der fünften und sechsten Variation beabsichtigt, gerade bevor die Musik ruhige Kalevala-Stimmung annimmt.

1888 und 1889 wurden für Violoncello und Klavier auch zwei h-Moll-Stücke vollendet, die verschollen sind. Ein größerer Schaden war das Verschwinden des Klaviereinsatzes für das Werk Fantasie (1889), denn hier handelt es sich um eine umfassende, beinahe 20 Minuten dauernde fünfteilige Komposition, die Christian als „eines der schönsten und großartigsten Violoncellowerke, das ich jemals gehört habe“ bezeichnete. Das Werk besteht aus folgenden Teilen: Moderato, Presto, Tempo di valse (Moderato), Alla polacca und Alla marcia. Im selben Jahr wurden Canon (g-Moll) für Violine und Violoncello sowie Tempo di valse (fis-Moll) für Violoncello und Klavier, das „Lulu-Walzer“ genannt wurde, vollendet. Sie sind erhalten geblieben. In dem zuletzt erwähnten Werk fällt der melancholische Ton auf, der möglicherweise auf irgendein undokumentiert gebliebenes Liebesabenteuer hindeutet.

Malinconia op. 20 für Violoncello und Klavier (1900).

Uraufführung am 12. März 1900 in Helsinki (Georg Schnéevoigt).

Der ursprüngliche Name des Werkes war Fantasia und es ist das umfassendste und einzige eigenständige kammermusikalische Werk für Violoncello, das eine Opusnummer hat, denn die zwei andächtigen Werke, op. 77, Cantique (Laetare anima mea, 1914) und Devotion (Ab imo pectore, 1915) wurden ursprünglich für Violoncello und Orchester komponiert und es gibt auch Fassungen für Violine. Die vier Stücke des op 78 Impromptu (1915), Romanze (Romanssi, 1915), Religioso (1917) und Rigaudon (1915) wurden wiederum für Violine oder wahlweise für Violoncello komponiert.

Nach Aussage von Scott Goddard (1947) „fehlt dem Werk als Ganzes solche Gewichtigkeit, die heute mit Sibelius’ Namen assoziiert wird“. Auch Erik Tawaststjerna findet an diesem (so der Komponist) „in drei Stunden entstandenen“ Konzertstück nicht viel Lobenswertes, er stellt nur fest, dass die Stimme des Violoncellos ergiebig sei, obwohl nicht sehr originell, aber

„der Hauptgrund für das Misslingen war, dass Sibelius eine virtuose, mit der Cellostimme vergleichbare Klavierpartie schreiben wollte; er dachte vermutlich an Sigrid Schnéevoigt, die Gattin von Georg. Beinahe ein Viertel des Werkes besteht aus Solokadenzen für Klavier und sie klingen ziemlich konventionell. Alles in allem sieht die Klavierstimme wie eine Virtuosenpalette aus, Oktavenläufe wechselweise für beide Hände, synkopierte Begleitung, Dreiklangbildungen à la Tschaikowski und ein karges Fugato als einer der wenigen Lichtblicke“.

Man kann die Komposition vielleicht positiver bewerten, wenn man sie als dunkle Trauermusik anlässlich des Todes der lieben Tochter Kirsti betrachtet, in der der Schmerz so kräftig ist, dass er einen übermäßigen und etwas unkontrollierten Ausdruck zustande bringt. Gut gespielt macht das Werk jedenfalls Eindruck mit seinem mächtigen Klang, mit seiner starken Chromatik und erhabenen Melodik, die auf die Richtung des Violinkonzerts oder sogar auf die Symphonien Nr. 4 und Nr. 5 hinweist.