Im
Herbst 1892 zog das jungverheiratete Paar in ein gemeinsames Heim
in Helsinki um. Das Haus lag in der Wladimirstraße, der heutigen
Kalevankatu. Zur selben Zeit erneuerte Sibelius seine Freundschaft
mit Robert Kajanus und mit Axel Gallén (später Akseli
Gallen-Kallela). Jetzt fingen die Symposion-Sitzungen (griechisch:
ein Club, in dem getrunken wird oder in dem philosophische
Diskussionen stattfinden) im Hotel und Restaurant Kämp an, die
oft sogar tage- und nächtelang dauerten. Die Dreiergruppe und
ihre Künstlerfreunde debattierten über die Grundfragen des
Lebens und der Kunst und stellten die Geduld ihrer zu Hause
wartenden Ehegattinnen auf eine harte Probe.
Die
Syposion-Sitzungen nahmen zuerst nur einen Bruchteil der Zeit des
frischgebackenen Ehemanns in Anspruch. Sibelius unterrichtete an
Wegelius'
Musikinstitut sowie an der Orchesterschule von Kajanus. Seine Fächer
waren Musiktheorie und Geigenspiel und er unterrichtete
gelegentlich sogar mehr als 30 Stunden in der Woche.
Neben
seiner Unterrichtstätigkeit vollendete er sieben Lieder zu Versen
von Runeberg und konnte diese sogar veröffentlichen. Seine hauptsächliche
Arbeit im Herbst 1892 war jedoch das Komponieren des Werkes Eine
Sage (Satu). „Da ist Leidenschaft, Rausch“, schrieb er
seinem Freund Adolf Paul und erwähnte auch die Gemälde von
Arnold Böcklin.
Das
Komponieren von Eine Sage (Satu) wurde kurz unterbrochen,
um die Großmutter, die Pröpstin Borg, zu bestatten. Mit dieser
Beerdigung nahm Sibelius auch Abschied vom Hämeenlinna seiner
Kindheit, denn unmittelbar danach wurde das Elternhaus des
Komponisten verkauft.
Eine
Sage,
die länger und vielschichtiger war als die heutige Version, wurde
am 16. Februar 1893 uraufgeführt. „Wenn nur seine musikalische
Intuition etwas weniger willkürlich wäre“, beschwerte sich
Karl Flodin von „Nya Pressen“. Oskar Merikanto wagte es sogar,
von Sibelius zu verlangen, dass er in seinem Werk die als überflüssig
erkennbaren Stellen streichen sollte, was Sibelius dann im Jahr
1902 auch machte.
Ein
unangenehmer Schlag in den Nacken traf Sibelius im März 1893, als
er drei Mal Kullervo dirigierte. Der Kritiker der
Tageszeitung „Uusi Suometar“ hielt das Werk für unverständlich
und die Vorstellung für erbärmlich. „Aftonbladet“ fand das
Werk lang, langweilig und ermüdend. In seinen alten Tagen
erinnerte sich Sibelius, dass sogar seine Freunde ihm empfahlen,
in Porvoo Organist zu werden.
Im
März 1893 wurde das erste Kind von Aino und Janne geboren und im
April erfuhr der Komponist zur Abwechslung Anerkennung, als sogar
die kirchlichen Kreise sein Werk Kahnfahrt
(Väinämöisen
venematka) für Chor für gut und leicht verständlich hielten.
Die Kahnfahrt (Väinämöisen venematka) wirkte nach
Sibelius' Aussage „wie eine Bombe“.
Die
kurze Periode, in der Sibelius Wagnerianer war, fing jetzt an. Im
Sommer 1893 plante er eine Oper auf der Grundlage der sechsten und
sechszehnten Rune des Kalevala.
Es war
Sibelius' Absicht, Der
Bootsbau
(Veneen
luominen)
nach den Richtlinien in Wagners Schrift Oper
und Drama
zu komponieren. „Die Töne erreichen ihre richtige Kraft erst,
wenn ein poetischer Sinn sie führt. Mit anderen Worten, wenn sich
Wort und Melodie vereinigen“, meinte Sibelius.
Als
Ouvertüre für die Oper komponierte Sibelius das Werk Der
Schwan von Tuonela
(Tuonelan joutsen).
Im Sommer 1894 suchte er Bestätigung für seinen Stil, indem er
„eine Wallfahrt“ zu den Wagner-Festspielen in Bayreuth
unternahm, aber letzten Endes rief der Wagner-Kult in ihm eine
Gegenreaktion hervor. Die Wagner-Krise klang bei den
Untersuchungen zu Liszts Faust-Symphonie
ab.
„Ich glaube, dass ich eigentlich ein Musikmaler und Dichter bin.
Damit meine ich, dass der Musikstil von Liszt
mir am nächsten liegt.
Jenes symphonische Gedicht“, meinte Sibelius jetzt. Er gab das
Komponieren einer Oper auf; die Skizzen arbeitete er zur Lemminkäinen-Suite
(Lemminkäissarja) um.
In
den Jahren, als Sibelius Opernpläne hegte, wurden auch viele
anderen Werke fertig: Die Studentenverbindung von Wyborg gab ihm
die Musik für die Szenen, die die Geschichte von Karelien
schilderten, in Auftrag. So entstand die Karelia-Bühnenmusik,
aus deren Materialien Sibelius später die Karelia
Suite
(Karelia-sarja) schuf.
Die Bühnenmusik und besonders die, daraus schnell umgearbeitete
Suite, die umfangreicher war als die heutige Version, wurde in den
Kritikerkreisen von Helsinki gut aufgenommen. In dem
Kompositionswettbewerb von Ylioppilaskunnan Laulajat (YL, Männerchor
der Universität Helsinki) wurde Sibelius jedoch mit seinem Werk Der
Liebende
(Rakastava) nur
Zweiter.
Sein ehemaliger Lehrer Emil Genetz gewann mit seinem patriotischen
Lied Hakkapeliitat
(so wurden die finnischen Soldaten im 30-jährigen Krieg genannt).
Nach
der Bayreuth-Reise im Sommer bekam Sibelius pikante Öffentlichkeit,
als Axel Gallén in seiner Herbstexposition das Gemälde Symposion
ausstellte.
Auf dem Bild sieht man Sibelius,
Kajanus, Gallén sowie einen eingeschlafenen „Bürgerlichen“
in einem Restaurant sitzen, Benediktiner Likör trinken und die Flügel
von Osiris im Schein des tief symbolischen Hintergrunds betrachten.
Die
erste Version, "Kajus-Bild"genannt, von Axel Gallén's
Symposion-Thema. Von links: Axel Gallén, Oskar Merikanto, Robert
Kajanus und Jean Sibelius.
Sibelius
geriet durch das Gemälde in den Ruf eines versoffenen Künstlers.
Es wurde sogar schwerer Kredit zu bekommen. Der Komponist behielt
die Symposion-Abende dennoch in guter Erinnerung. „Die
Symposion-Abende waren für mich zu jener Zeit sehr wertvoll, weil
ich sonst mehr oder weniger allein gewesen wäre“.
Ende
des Jahres 1894 wurde die zweite Tochter Ruth geboren. Es gefiel
Sibelius besser als früher eine kleine Weile zu Hause an seinem
Schreibtisch zu sitzen. Im März 1895 wurde „die erste Skizze“
von Die
Waldnymphe
(Metsänhaltijatar) uraufgeführt, ein Melodrama für einen
Sprecher, Streichinstrumente, zwei Bügelhörner und Klavier.
Die Orchesterversion von Die
Waldnymphe
(Metsänhaltijatar) wurde am 17. April aufgeführt.
Jetzt kamen auch die wagnerischen Charakteristika des erotisch
nuancierten Werkes deutlicher zum Vorschein. Die Waldnymphe
(Metsänhaltijatar)
wurde später für Jahrzehnte vergessen, bis die
Schallplattenaufnahmen des von Osmo Vänskä dirigierten
Stadtorchesters von Lahti in den 1990er Jahren damit ein kleines
Medienereignis zustande brachten.
Sibelius'
Ziel
war jedoch das Werk Lemminkäinen-Suite (Lemminkäissarja)
und im Herbst 1895 beantragte er trotz seiner Schuldensituation
Beurlaubung von dem Musikinstitut, um das Werk fertig zu stellen.
Das Werk war Anfang 1896 zum Einüben fertig, aber das Orchester
von Kajanus hatte immer noch seine Bedenken. Die Aufführung war
schließlich ein Publikumserfolg, aber die Kritiker waren sich
uneinig. Oskar Merikanto lobte das Werk, aber Karl Flodin war
schon jetzt zurückhaltend: Zum Beispiel fand
er das
Englischhornsolo in Der
Schwan von Tuonela
(Tuonelan joutsen) „kolossal
lang und langweilig“.
Aleksander
Järnefelt starb einen Tag nach der Uraufführung von Lemminkäinen.
Im Gruppenbild sieht man, stehend: Arvid, Armas, Eero und seine
Gattin Saimi Järnefelt. Sitzend: Aino Sibelius, Elisabeth Järnefelt,
Jean Sibelius, Emmy (die Frau von Arvid) und Eero (der Sohn von
Arvid), Elli Järnefelt (die Schwester von Aino), Mikael Clodt
(der Bruder von Elisabeth) und Kasper Järnefelt.
Zwischen
den großen Kompositionen schuf Sibelius die Krönungskantate
(Kruunajaiskantaatti) für die Universität. Die Uraufführung
wurde durch Trunkenheit eines der Musiker unmöglich.
Sibelius setzte seine Arbeit fort und komponierte die einaktige
Oper Die
Jungfrau im Turm
(Neito tornissa).
Dem Publikum gefiel Sibelius'
Musik, aber die Kritiker hatten immer noch Bedenken. Sibelius
verbot das Aufführen seiner Oper bald nachdem sie im November
uraufgeführt worden war. Die Ouvertüre der Oper dirigierte er
jedoch noch nach vielen Jahren.
Am
25. November 1896 bewarb sich Sibelius als Nachfolger von Richard
Faltin um die Stellung als Musiklehrer an der Universität von
Helsinki. Das Thema der Probevorlesung war die Volksmusik und ihr
Einfluss auf die Tonkunst. „Eine eigenartige Gleichartigkeit
besteht zwischen unserer Zeit und dem Jahrhundert vor Bach. Damals
funktionierten die in der Kirchenmusik verwendeten Tonarten nicht
mehr. Sie konnten sich nicht mehr behaupten, weil sie konstruiert
und ohne einen festen Boden waren. Sie mussten Platz für die
Tonalität geben, die ihre Grundlage in der uralten Volksmusik
hatte. Heute ist es deutlich zu sehen, dass unsere moderne Tonalität
wackelt“, sagte Sibelius in seiner Vorlesung.
”Aber
man sollte das Alte nicht herunterreißen, wenn man an seine
Stelle nicht etwas Neues stellen kann. Das Neue gelingt nicht auf
die Weise, dass ein neues Tonsystem aufgebaut wird, sondern es
muss lebend in der volkstümlichen Musik gefunden werden.“
„Ich
gehe so weit, zu behaupten, dass alle sogenannten interessanten
Umschwünge, Modulationen usw. nur vorübergehend wertvoll sind,
sofern ihre Wurzeln nicht in der Volksmusik stecken“.
Die
Probevorlesung war etwas mosaikartig, aber Sibelius wurde für das
Amt vorgeschlagen. Robert Kajanus legte jedoch Beschwerde ein und
gewann letztendlich diesen Kampf. Dies kühlte die Freundschaft
der beiden Musiker beträchtlich ab. Obwohl die Zusammenarbeit
weiterging, hegte Sibelius auch Argwohn gegen Kajanus und hielt
seine widersprüchlichen Gefühle oft in seinen
Tagebuchaufzeichnungen fest.
Auf
diese Weise war der Kern der Dreiergruppe des Symposion-Zirkels
auseinandergebrochen: Gallen-Kallela war oft im Ausland oder
verbrachte viel Zeit in der Natur. Kajanus und Sibelius wurden
jetzt als Rivalen angesehen, obwohl die Zusammenarbeit weiterging.
Die heißeste Phase der Symposion-Jahre war schon Ende 1894 vorbei
gewesen und jetzt verschwand das Gefühl der Verbundenheit endgültig.
„Ich
machte mich bereit, meinen eigenen Weg zu gehen“, erinnerte sich
Sibelius. „Die Stimmung der 1890er Jahre kam nicht zurück."