Die
jüngste Tochter Kirsti der Familie Sibelius, zu der damals drei
Kinder zählten, starb am 13. Februar an Typhus. Aino Sibelius
fiel in eine tiefe Depression und die Qualität des Alkoholkonsums
von Jean Sibelius veränderte sich vom lebenslustigen Feiern des
Jugendalters zu einem gefährlicheren Hobby. Seine Arbeit störte
es jedoch noch nicht.
Die
schnell komponierte Fantasie für Cello und Klavier bringt die
melancholische Stimmung zum Ausdruck. Ihr wurde später der Name Malinconia
gegeben.
Auch Sandels,
das beim Kompositionswettbewerb des Chors „Muntra
Musikanter“ ausgezeichnet wurde, blieb eine Zwischenarbeit.
Oskar Merikanto schrieb nach der Uraufführung frank und frei,
dass „wir dieses Werk jedoch bei weitem nicht zu den besten
Werken von Sibelius zählen“.
Die
Hauptarbeit im Frühling war die Überarbeitung der Symphonie
Nr. 1 noch vor der Tournee von Kajanus'
Orchester und den Aufführungen auf der Pariser Weltausstellung.
Sowohl Sibelius als auch Kajanus erhielten im Laufe des Frühlings
brieflich gute Anweisungen von einem geheimnisvollen Pseudonym „Musikfreund“.
Es handelte sich um den anspruchslosen Baron Axel Carpelan, der
bald einer der bedeutendsten Freunde und Unterstützer von
Sibelius wurde.
Sibelius
fuhr als wichtiger Komponist auf die Gastspielreise mit, trotzdem
erlaubte ihm Kajanus nicht, Konzerte zu dirigieren. Das
Hauptgewicht des Programms lag auf den Orchesterwerken von
Sibelius: Es
wurden die Symphonie Nr. 1
und Finlandia
sowie im Rahmen eines zweiten Programms Lemminkäinen zieht
heimwärts (Lemminkäisen
kotiinpaluu),
Der Schwan von Tuonela (Tuonelan
joutsen)
und Teile der Suite König
Kristian II
(Kuningas Kristian II) gespielt. Darüber hinaus wurden u. a.
Werke von Kajanus und Armas Järnefelt sowie Arrangements von
Volksliedern gespielt.
Robert
Kajanus übte mit seinem Orchester in einer Feuerwache vor der
Abreise auf die Tournee 1900.
Das
Orchester spielte in dreizehn Städten insgesamt 19 Konzerte, und
die ausgedehnte Tournee bedeutete für Sibelius den Anfang des
internationalen Durchbruchs.
Zum
Beispiel lobten die schwedischen Kritiker die Symphonie Nr. 1 „als sehr bedeutungsvoll“ und Charles Kjeruf von
der Zeitung „Politiken“ in Kopenhagen pries „die unverschämt
mutige und durch und durch unabhängige Musik“. Ferdinand Pfol
von „Hamburger Nachrichten“ schrieb von einem „Respekt einflößenden
Künstler, dessen Fantasie Adlerschwingen hat“.
Berlin
war der wichtigste Schauplatz der Tournee und die Kritik in seiner
ehemaligen Studienstadt zeigte Interesse an ihm. Otto Taubman vom
„Berliner Börsen-Courier“ genoss die „neue und ungewöhnliche“
Tonsprache und freute sich über die „stürmische“
Begeisterung des zahlreich erschienenen Publikums. Nach dem
„Berliner Fremdenblatt“ war er ein verheißungsvolles Talent,
das seine elegischen und pathetischen Gefühle spürbar zum
Ausdruck brachte, aber das in seinen leidenschaftlichen Ausbrüchen
zu weit ging. Der Kritiker des „Berliner Lokal Anzeigers“
bezeichnete Sibelius als „ein hervorragendes und
aussichtsreiches Talent“.
Die
Konzerte in Berlin bedeuteten Sibelius'
Durchbruch
in den Kritikerkreisen Deutschlands. Danach war es leichter, den
etwas genügsameren Erfolg in Paris zu ertragen. Die
einflussreichsten französischen Kritiker waren nach der
Konzertsaison schon auf Sommerurlaub.
Sibelius
kehrte zufrieden nach Hause zurück. Zu Hause in Kerava aber trat
das traurige Schicksal der Tochter Kirsti schnell wieder in sein
Bewusstsein. Sibelius akzeptierte dankbar das von Axel Carpelan
finanzierte Reiseangebot. Carpelan war der Ansicht, dass Sibelius
die klassische Leichtigkeit der Kulturen des Mittelmeerraumes für
seinen Ausdruck benötigte. Er gab dem Komponisten die erhebliche
Summe von 5 000 Mark bzw. ca. 17 000 Euro in heutigem
Geld für eine Italien-Reise. Sibelius tilgte mit dem Geld einen
Teil seiner Schulden, bevor er seine Reise antrat.
Die
Familie fuhr Ende Oktober nach Berlin ab und blieb monatelang, bis
Ende Januar 1901, dort. Carpelan beunruhigte sich: Sibelius hätte
doch nach Italien fahren müssen! Dazu kam die Sorge um die
Dezimierung der Reisekasse. Sibelius brachte seine Familie in die
teuersten Hotels und Restaurants und die 17 000
Gegenwartseuro waren bis Januar aufgebraucht. Aino Sibelius war über
die Verschwendung erschüttert, wie sie in ihrem Notizbuch schrieb.
Sibelius
lieh sich in Finnland zusätzliche Reisemittel aus und die Familie
reiste zu guter Letzt nach Italien, nach Rapallo an der
Mittelmeerküste. In Rapallo bekam Sibelius Ideen für den
langsamen Satz seiner Symphonie Nr. 2 und schrieb neben den Skizzen zu dieser den Don
Juan, in dem es um die Begegnung der Hauptfigur in der Oper
Don Giovanni von Mozart mit dem Tod geht. Die Tochter Ruth
erkrankte jedoch in Rapallo schwer und die Familie wurde von Angst
vor dem Tod der zweiten Tochter erfasst. Letztendlich überlebte
Ruth die Bauchfellentzündung und das auf über 40 Grad gestiegene
Fieber. Der Komponist verließ die sich erholende Familie und
reiste allein nach Rom. Sein Skizzenbuch quoll über von Themen,
die für mehrere Jahre reichen sollten: In Rom entstanden Knospen
zu solchen Werken wie zum Beispiel Pohjolas Tochter
(Pohjolan tytär) sowie Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang (Öinen
ratsastus ja auringonnousu).
Sibelius
kehrte aus Rom zurück und brachte seine Familie nach Florenz, um
die Kunstwerke der Uffici-Galerie zu bewundern. Sie kehrten im Mai
nach Hause zurück und da wartete schon eine neue Reise auf
Sibelius. Er hatte eine Einladung erhalten, seine Musik auf den
Musikfestspielen des Allgemeinen Deutschen Musikvereins im Juni in
Heidelberg zu dirigieren. Auf dem Programm standen die kürzlich
gedruckten Werke Der Schwan von Tuonela (Tuonelan joutsen)
und Lemminkäinen zieht heimwärts (Lemminkäisen
kotiinpaluu).
Die
Sibelius-Sympathien der deutschen Musikwelt wurden durch das
Konzert bekräftigt. Das „Berliner Tageblatt“ hielt Den
Schwan von Tuonela (Tuonelan
joutsen)
für „eine zart erfasste Farbenskizze”. Über
Lemminkäinen zieht heimwärts (Lemminkäisen kotiinpaluu)
wurde geschrieben: „Die Klangeffekte des Werkes sind überraschend,
sogar genial und auch seine Gestaltung ist prima gelungen“.
Der
Erfolg hob auch die Nachfrage nach den Partituren an. In der
folgenden Saison führte Weingartner dieselben Werke in Berlin auf
und Henry Wood dirigierte die Musik von König Kristian II (Kuningas
Kristian II) in London. Auch die anderen Kapellmeister fügten
Sibelius'
Kompositionen ihrem Repertoire bei.
Der
Herbst verging mit dem Komponieren der Symphonie
Nr. 2, wie auch der Anfang des Jahres 1902. Die Uraufführung
am 8. März in Helsinki war einer der vollkommensten Triumphe in
der Laufbahn des Jean Sibelius. Die heroische Symphonie
Nr. 2 begeisterte das in den Unterdrückungsjahren
niedergeschlagene Volk, das das Werk als patriotisch
interpretierte.
Nach
Ansicht von Oskar Merikanto von „Päivälehti“ übertraf die
Komposition als Meisterwerk „auch die höchsten Erwartungen“.
Evert Katila von der Tageszeitung „Uusi Suometar“ verglich die
Symphonie mit einem gewaltigen Strom, der dem Schoss des Meeres
majestätisch zufließe. Nach der Ansicht von Karl Flodin ging es
um „ein absolutes Meisterwerk, eine von den seltenen
symphonischen Schöpfungen, die in die gleiche Richtung zeigen,
wie Beethovens Symphonien“.
Sibelius
komponierte im April für die Einweihung des Nationaltheaters das
Stück Der Ursprung des Feuers (Tulen synty). Das Werk für
Bariton, Chor und Orchester dauerte knappe 10 Minuten und war ein
Beweis dafür, dass Sibelius'
Interesse für das Kalevala weiterhin anhielt. Auch dieser Text
konnte wieder allegorisch gedeutet werden: Die Finnen waren dabei,
im Zentrum der von der russischen Unterdrückung verursachten
Dunkelheit, ein Feuer anzuzünden.
Die
Uraufführung am 9. April 1902 ging im übermäßig langen
Programm unter. Zum Beispiel veröffentlichte „Päivälehti“
den Text des Werkes am nächsten Tag, aber statt einer Rezension
wurde nur festgestellt, dass „die Komposition großartig ist und
auch ihre Wirkung auf das Publikum genauso mächtig war“.
Sibelius verstand den Wert des Werkes und arbeitete es acht Jahre
später um.
Den
Sommer verbrachte Sibelius bei seinem Bruder in Berlin und in Tvärminne,
in der Nähe von Hanko. Er arbeitete in Tvärminne zum Beispiel an
dem Lied War es ein Traum (Var det en dröm) und an der
neuen Version des Werkes Eine Sage (Satu). Im Herbst änderte
sich der Lebensstil des Komponisten, weil die Familie sich traute,
Kerava zu verlassen und wieder nach Helsinki umzuziehen.
Sibelius
dirigierte im November 1902 in Berlin die neue Version von Eine
Sage (Satu) auf Einladung von Ferruccio Busoni in einem
Konzert der Berliner Philharmoniker. Das Konzert kam ausgezeichnet
an und die meisten Kritiker lobten das Werk. Dadurch war Sibelius'
Durchbruch in Deutschland besiegelt. Auch die Symphonie
Nr. 1 wurde gedruckt und Emil Krause rühmte das Werk im
„Hamburger Fremdenblatt“.
Sibelius
war jedoch nahe daran, in eine Krise zu geraten. Der Umzug von
Kerava in das Zentrum von Helsinki brachte ihn wieder in die
Reichweite von Alkoholexzessen und Ausschweifungen.